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Abschied von Tiger

Samstag, 7. Juni 2025 18:27

Es war 2007, am Samstag vor Pfingsten. Während ich mit Vorbereitungen für das Frühstück beschäftigt war, hörte ich immer wieder ein Geräusch von draußen, das wie ein Miauen klang. Ich ging ins Freie und postierte mich vor dem halbverfallenen Nebengebäude, woher das Geräusch zu kommen schien, es war aber nichts mehr zu hören. Das Spiel wiederholte sich noch zwei-, dreimal, bis es mir zu müßig wurde, weil ich endlich die Schnittlauchbrote fürs Frühstück fertigmachen wollte.
Als ich dann mit meiner Frau Martina beim Frühstück saß, erzählte ich ihr von dem seltsamen Geräusch. Sie quittierte meine Schilderung mit eher skeptischen Kommentaren, damit war das Thema vorerst erledigt.
Nach dem Frühstück startete Martina ihre übliche Runde durch den Garten, aber just, als sie am weitesten vom Nebengebäude entfernt war, vernahm ich das vermeintliche Miauen wieder. Ich rief durch den Garten: »Das Miauen ist wieder da!« Martina nahm schnurstracks Kurs auf das Nebengebäude, aber als sie dann neben mir stand, war das Geräusch längst wieder verstummt. Abermals bekräftigte Martina ihren Standpunkt, dass es sich lediglich um eine Halluzination handle, an der vielleicht ein zu ausgiebiger Heurigenbesuch am Vortag nicht ganz unschuldig sei. Damit gab ich es vollends auf, Martina die Vorstellung eines kleinen nach Hilfe schreienden Kätzchens plausibel zu machen und fuhr einkaufen.
Als ich dann eine halbe Stunde später vom Einkauf zurückkam, erwartete mich eine Überraschung, die meine Wahrhehmungen bestätigte: Martina saß auf den Steintreppen unserer Veranda, in der rechten Hand ein kleines Nuckelfläschchen mit Milch, auf ihrem Schoß ein kleines rotes Kätzchen, das so gierig an der Flasche saugte, dass Martina Mühe hatte, sie fest in der Hand zu behalten.
»Und das«, sagte ich »ist jetzt meine Halluzination?«
Das Kätzchen war offenbar durch die morschen Dachbodenbretter des Nebengebäudes gebrochen und richtig auf den Kopf gefallen. Jedenfalls hatten wir jetzt ein neues Familienmitglied, dem wir den Namen »Tiger« gaben.
Tiger sollte ein recht umgänglicher Kater werden, zutraulich bis zur Distanzlosigkeit, unkompliziert, ortstreu (Streunereien mit tagelanger Abwesenheit interessierten ihn nicht), und auch ein bisschen eigensinnig. Wenn man ihm eine volle Wasserschüssel hinstellte, leckte er doch lieber an den Regentropfen, die gerade vom Gartensessel troffen, unter dem er lag.
Achtzehn Jahre später, am Samstag vor Pfingsten, waren wir ernsthaft besorgt um Tigers Wohlergehen. Er war schon einige Tage zuvor nicht zum Futterplatz gekommen, Martina hatte ihm das Futter zu seinem Lieblingsplatz getragen, an dem er oft den ganzen Tag lag. Er hatte eine ausgeprägte Flankenatmung, man konnte sehen, dass sich das Tier schwer tat, Luft zu bekommen. Er reagierte aber immer noch auf Ansprache (tatsächlich war er bis jetzt die einzige Katze, die auf ihren Namen hörte, so kam es uns jedenfalls vor).
Stunden später lag Tiger unter einem Gartenstuhl mit offenem Maul und rausgestreckter Zunge, es war jetzt noch offensichtlicher, dass er kaum mehr atmen konnte. Er reagierte noch auf Ansprache, ließ sich streicheln, aber er musste wohl leiden. Deshalb telefonierte Martina die Tierärztinnen in der Nähe durch. Eine sagte zu, sie könne in etwa anderthalb Stunden vor Ort sein.
Keine fünf Minuten nach diesem Telefongespräch hörte ich es im Gebüsch neben dem Beet, in dem ich gerade versuchte, Ordnung zu machen, rascheln, dann Geräusche, die nach Husten oder Antiperistaltik klangen. Tiger lag nicht mehr unter dem Gartenstuhl, unter dem er die ganze Zeit gelegen war. Ich äugte in das Gebüsch, und dort lag er, er zuckte etwas, auf seinen Namen reagierte er nicht mehr. Er zuckte, und dann aus. Angesichts des Todes ist wirklich alles lächerlich.
Unkompliziert war dieses gute Tier bis zum Schluss. Es hat uns den Tierarzt erspart. Das kontrollierte Sterben war sicher auch nicht in seinem Sinn, und ein bisschen eigensinnig war Tiger ja. »All I ask of living is to have no chains on me, and all I ask of dying is to go naturally.« hat er sich gedacht.
Jetzt liegt er in unserem Garten, in dem er immer so gerne herumgewandert ist. Wir werden ihn nie, nie vergessen.

Tiger

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Das Rathaus

Freitag, 20. Januar 2023 16:33

Guter Rat kommt aus dem Rathaus, –
Manchmal, und ist oft teuer.
Warum? Vielleicht,
Weil’s auch so teuer war,
Das Rathaus?

Im Rathaus wird sehr viel gedacht,
Doch wird nicht alles überdacht.
Vor allem erst das Rathaus.

Gute Ideen entstehen,
Doch sterben wohl öfter
Im Rathaus.

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Endstation: Ende einer Station

Sonntag, 15. Januar 2023 16:16

Einst hielten hier Züge. – Vor wenigen Jahren,
Da sind sie mit uns noch zur Arbeit gefahren.
Im Häuschen am Bahnsteig, da wärmten sich Leute
(Damals wars noch ein Häuschen, doch Trümmer sind’s heute).
Der Bahnsteig vereinsamt, weil niemand drauf tritt,
Die Züge, die nehmen ja keinen mehr mit.
Einer braust jetzt vorüber: – das Rundherum – schweigt,
Weil keiner hier mehr einem Zug entsteigt.
Hier stirbt sichs auf Raten: erst die Post, dann die Bahn.
Als nächste sind wir selber dran.
Und Zug um Zug stirbt zügig der Ort.
Vergangenheit bleibt – die Zukunft zieht fort.
Hinter tristen Fassaden ein trauriges Leer.
Der Mensch baut viel auf und zertrümmert doch mehr.

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Vogelscheuchen am Bromberg

Sonntag, 15. Januar 2023 16:15

Spätsommers wandernd am Wagram
Seh’ hoch ich über den Reben
Sonderbar-schräge Gestalten,
Beängstigend fast tanzend
Im kräftig-warmen Wind.
Sie schaukeln gefährlich über den Trauben,
Oh Schreck – sie werden sie sicher rauben!
Halt, halt!
Nur keine Gewalt!
Da sind keine Räuber auf der Flur!
Die Gestalten bewahren
Den Wein vor den Staren
Und schützen ihn doch nur!

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Arbeit ist des Menschen Los

Sonntag, 15. Januar 2023 16:14

Arbeit ist des Menschen Los,
Doch erst danach geht’s richtig los:
Schnell in die Dusche, und dann raus
Aus meinem ausgedorrten Haus.
Dann mach ich eine kleine Tour
Auf unsrer weiten Wagramflur.
Doch allzu weit geh ich nicht fort,
Die Schätze lagern ja im Ort.
Ich seh mir drum die Karte an,
Was man dort Gutes haben kann.
Ich weiß zwar eh schon, wo was ist –
Nur dass man halt nicht was vergisst.
Beim Norbert Riedl weiß ich meist
Nicht, ob es jetzt nicht »Riedling« heißt.
Sein Roter glaub ich heißt »Schlawiner« –
Oder vielleicht nicht doch »Traminer«?
In den Filou vom Herbert Schabl
Tunk ich den noch sehr trocknen Schnabel.
Dann kost’ ich schnell noch den Rebell,
Das ist halt so mein Naturell.
Matthias Mayer liegt bergauf,
Rasch rauf, solang ich’s noch derschnauf.
Sein Stoamasl, seine Reserven
Beruhigen meine schwachen Nerven.
Ich lenk’ den Schritt zum Schachinger,
Dort trink ich auch kein Fachinger.
Nach Manuel und Exklusiv,
Schau ich dann schon ein bisschen schief.
Im Herbst lockt Alfred Bayers Halle,
Weil ich schon nach dem Durchgehn lalle.
Ein Glaserl Löss, ein DAC,
Schon tut die Schulter nicht mehr weh.
Ein Himmelreich von Claudia Bauer,
Ein Frischling noch vom Leo Bauer,
Vom Stöger dann ein G’mischter Satz
Ein Bayer Franzl hat auch noch Platz,
Ein Schluckerl Steinberg noch vom Fritz,
Dann hab ich langsam einen Spitz.
Kanonen liegen auf der Lauer
Beim Heurigen vom Stefan Bauer.
Der Hutzler und der Steinagrund,
Die donnern richtig in den Mund
Und geben mir den letzten Rest,
Dann geh ich heim und schlafe fest.
Arbeit ist des Menschen Los,
Doch diese Arbeit ist grandios.

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